Wir sind das Volk.
Der Tag der Deutschen Einheit hat’s sogar zum Google-Doodle gebracht, dem Ritterschlag für jeden aufrechten Feiertag. Und auch zum YouTube-Doodle – wusste nicht dass es das gibt. Übrigens ist heute auch der Tag der offenen Moschee. Wer in der Nähe einer Moschee wohnt, sollte das vielleicht mal wahrnehmen.
Oh, wie passend: Vorhin kam auf RTL2 „Schokolade zum Frühstück“, und was ist heute auf Platz 21 der Alextravaganza-Charts? Sehr richtig, Robbie Williams mit Have You Met Miss Jones?. Das Lied gibt es übrigens auch in einer viel früheren Fassung von Ella Fitzgerald, der Robbie Williams, bei aller Liebe, nicht das Wasser reichen kann.
Aber eine geile Sau ist er schon, da beißt die Maus keinen Faden ab.
Ich hab vorhin im Fernsehen einen Film über das Wunder von Leipzig gesehen, und ich kann euch sagen: Wenn ich höre, wie tausende von Menschen „Wir sind das Volk“ skandieren, da stellt es mir heut noch die Haare im Nacken auf, und mir steigen die Tränen in die Augen.
Man hört ja immer viel davon, wie wahnsinnig groß derBeitrag von Ronald Reagan zur Perestroika und zum Fall der Mauer war, und ich muss sagen: Bullshit.
Politiker sagen viel wenn der Tag lang ist, und Äußerungen dieser Art („Mr Gorbachev, tear down this wall!“) bedeuten für sie auch kein persönliches Risiko. Im schlimmsten Fall machen sie sich damit zum Vollaffen, im besten Fall hört eh keiner zu.
In der 10. Klasse (1987) haben wir einen Schulausflug nach Berlin gemacht. War interessant, aber die Grenzontrolle auf dem Weg dorthin waren furchterregend. Ich frage mich immer noch, welch ein krankes System es für nötig halten kann, mehrere bewaffnete Polizisten in einen Bus mit Jugendlichen zu schicken.
Westberlin war aufregend und bunt. Ich habe im KaDeWe eingekauft und im Ägyptischen Museum die Büste der Nofretete angeschaut. Ich kannte die nur von Bildern, natürlich. Aber man bekommt ja gesagt, dass sie schön sei.
Ihr fehlt ein Auge, die Ohren sind ein bisschen angeschlagen, und auch der Kopfputz hat die Jahre nicht ganz unbeschädigt überstanden.
Sie ist wunderschön. Wunderschön, sympathisch und sehr anrührend.
Das war ein bisschen so wie zum ersten Mal eine Nachtigall singen zu hören. Du weißt dass es schön sein soll. Aber wie schön es wirklich ist, merkst du erst wenn du es selbst hörst. Und es fühlt sich an als reißt dir jemand das Herz aus der Brust.
Ostberlin war wie die Kulisse in einem schlechten Film. Ich habe da zum ersten Mal bemerkt wie langweilig eine Stadt aussieht, wenn es weder Werbung gibt noch bunte Autos.
Unsere Lehrer hatten uns ja vor illegalem Geldwechseln gewarnt, das sei ganz verbreitet dort, und furchtbar illegal, und manchmal versuche die Polizei einen in die Falle zu locken. Zehn Mark musste man an der Grenze zwangsumtauschen, und dann mussten wir den Mist irgendwie ausgeben – nur wie? Es gab ja nix! Zumindest die Chorschüler (ich war auf dem Johann-Sebastian-Bach-Gymnasium in Windsbach, da waren viele Mitglieder der Windsbacher Knabenchores) waren fein raus, die waren logischerweise alle so musikbegeistert, die haben sich irgendwelche Noten gekauft. Streberpack.
Ich glaube, unsere Klasse hat dann aus reiner Verzweiflung eine komplett antisozialistische Schneise des übertrieben hohen Trinkgelds durch Ostberlin geschlagen.
Am schlimmsten war aber eigentlich der Grenzübergang. Ich war ja die einzige in meiner Klasse, die noch nicht 16 war, deswegen mussten ich und mein Kinderausweis mit einem Erwachsenen über die Grenze gehen. Das war ausgerechnet mein ungeliebter Mathematiklehrer Herr V. Dieses Grauen wurde aber mühelos vom Grenzübergang selbst übertroffen (Grenzübergang Friedrichsstraße? Kann das sein?). Der war gefliest, überall, Boden, Wände, Decke – zumindest in meiner Erinnerung. Die Grenzbeamtinnen waren vom Typ Rosa Klebb, nur furchterregender. Ich war überzeugt dass die Fliesen nur da waren, damit sie das Blut von erschossenen Grenzgängern einfach nur mit Gartenschläuchen abspritzen müssen.
Ich musste damals dauernd daran denken, dass ich als Kind die Trennung der zwei Deutschlands eigentlich ganz cool fand – obwohl ich damals das Wort nicht kannte, ich glaub das gab es da noch gar nicht in dem Sinne. Ich fand es einfach exotisch, und war ein bisschen stolz darauf. Bei einem unserer vielen Tagesausflüge war ich dann mit meinen Eltern und meinem Bruder an der „Zonengrenze“, und man konnte von unserem Parkplatz aus ins Niemandsland schauen. Mein Bruder hat mir dann erklärt, dass die Soldaten auf Leute schießen, die aus dem Land rauswollen. Verstanden hab ich das aber nicht so richtig. Ich muss da so um die elf Jahre alt gewesen sein.
Ich hab erst damals in Ostberlin verstanden, wie grotesk diese ganze Sache ist, und wie abnorm. Nein, das war nicht cool. Das war ein furchtbarer, grauenhafter Alptraum, aus dem ich noch am gleichen Tag wieder erwachen durfte. Für viele andere hat das noch ein paar Jahre gedauert.
Nein, liebe Leute, der Fall der Mauer war kein Triumph der Politik, das war ein Triumph der Bürger, die auf die Straße gegangen sind, obwohl sie buchstäblich alles zu verlieren hatten. „Tear down this wall“ liess und lässt mich kalt.
Wir sind das Volk.
Bilder von Wikipedia.