Wie ihr vielleicht wisst, habe ich eine Dreizimmerwohnung. Das dritte Zimmer läuft bei Familie und Freunden unter „Fetischzimmer“. Es ist eher klein (zwei Meter breit) und, wie man’s mit arg kleinen Räumen gern macht, dunkelrotviolettschwarz gestrichen.
Ich habe ewig hin und her überlegt, ob ich das tapeziere oder streiche. Meine Wahl ist vorletzte Woche auf Streichen gefallen, aus einem einzigen Grund: Streichen krieg ich auch allein gut hin, beim Tapezieren bin ich mir da nicht so sicher. Wink des Schicksals: Einen Tag nach dieser Entscheidung habe ich den Aldi-Prospekt für diese Woche bekommen – ab heute ist Farbe im Angebot (Premiumweiß, laut Öko-Test 4/2008 „sehr gut“, 11 Liter, 11,99 €).
Bei diesen ganzen Aldilidlnorma-Angeboten muss man sich ja ranhalten, damit man was abkriegt. Deswegen bin ich heute morgen auf dem Weg zur Arbeit zum Aldi und hab die Farbe und zwei Fertigsalate für heute und morgen mittag gekauft. Außerdem noch andere sortierte Nötigkeiten.
Oh, wer’s nicht weiß, ich habe kein Auto. Nur Fahrrad. Auf das habe ich den Farbeimer geladen – es ist erstaunlich, was das für eine Unwucht gab – und bin zum Büro geradelt. Bis daher ist es gutgegangen, wie ein Freund meiner Familie zu sagen pflegte.
Direkt vorm Büro riss die Glückssträhne. Der Eimer ist auf den Boden gefallen und aufgeplatzt (wer hätte auch gedacht, dass Farbeimer sowas nicht überleben?!). Aber keine Panik, nix befleckt gewesen. Also außer meinen Schuhen und meiner Jeans und meinem T-Shirt und meiner Handtasche und dem Fahrrad. Okay, und dann war da halt noch die Farblache von Größe des Bodensees.
Ich kürze jetzt episches, hektisches, wirres, mehrfaches Telefonieren mit Hausverwaltung und Hausmeisterdienst ab. Viertel nach zwölf kamen zwei Handwerker/Reinigungsprofis, die die Farbe weggeschrubbt und gewaschen und den Siff mit dem Nasssauger aufgesaugt haben. Ich habe ihnen fünf Arbeitsstunden quittiert. Die sie dem Hausmeisterdienst in Rechnung stellen werden, der sie wiederum mir in Rechnung stellen wird. Meinerseits hoffe ich, dass auf meine Haftpflichtversicherung abwälzen zu können.
Natürlich musste ich den aufgeplatzten Eimer – in zwei Lagen Gelbe Säcke verpackt – dann besonders vorsichtig heimschaffen, sprich: das Fahrrad schieben und durch große Muskelanstrengung die ganze Chose sehr gerade halten, damit nicht nochmal was abstürzt.
Auch klar, dass ich die anderen Einkäufe im Büro habe stehen lassen.
Auch klar, dass ich danach nochmal zum Aldi bin, um einen frischen Eimer Farbe zu holen (auch wieder mit Heimschieben deluxe).
Auch klar, dass ich in meinem Geisteszustand eine Halbfettmozzarella erwischt habe.
Auch klar, dass es auf dem Heimweg geregnet hat.
Auch klar, dass ich mir unterwegs die linke kleine Zehe aufgerieben habe.
Aber ich will nicht nur nörgeln. Der Fleckwegschrubber war der gleiche Mann, der diese Woche schon mal da war und die Aufkleber des Vormieters von den Bürotüren geschrubbt hat. Und den ich da schon ganz toll fand. Sieht aus wie John Hannah, nur kleiner, kräftiger, und dunkle Haare. Aber sonst GENAU wie John Hannah. Im Gegensatz zu John Hannah hat der jetzt aber meine Adresse und meine Handynummer.
Als ich meinem John Hannah so die besagten fünf Arbeitsstunden quittierte, blutenden Herzens, aber überdurchschnittlich trockenen Auges, sehe ich den UPS-Boten nahen. Ich sehe auch, dass er nicht wie sonst mehrere große Pakete hat, sondern nur ein kleines. Ich frage also, ob das nur das kleine leichte Paket ist, weil ich das dann ja auch mit ins Büro nehmen kann, da muss er ja nicht den ganzen Weg runter gehen. Kommt er so vertraulich an mich ran, lehnt ein bisschen rüber und fragt: „Wo wohnen Sie denn?“
Ich: „Äh …Römerstraße …“
Er: „Nummer?“
Ich: „15 … wieso?“
Er: „Dann ist die Benachrichtigungskarte in Ihrem Briefkasten hinfällig!“
Lächelt breit, und zaubert das kleine Paketchen hinter seinem Rücken hervor. Hat der Gute mir mein Privatpaket ins Büro gebracht! Dabei hatte der sonst gar nix für uns. Ich hätt ihn abknutschen können, aber ich wollte ja nicht, dass John Hannah mich für eine Schlampe hält.
Auch klar, dass ich das Paket im Büro vergessen hab, oder?
Kurzer Zeitsprung zurück: Damit ich überhaupt zum Fünf-Stunden-Quittieren rausgekommen bin, haben mich meine Kolleginnen rausgeschickt, mit den Worten „Du sollst mal zu dem jungen Mann rauskommen!“
Ich gehe also raus, und da steht an der Eingangstür so ein Mann, der auch irgendwie zum Haus gehört, jedenfalls hat der neulich irgendwas für/mit/gegen unsere Leuchten unternommen. Ich sage also ganz fröhlich und ohne Hintergedanken: „Soll ich zu Ihnen? Meine Kollegin hat gesagt, ich soll zu dem jungen Mann!“
Er, erstaunt, aber erfreut: „Ach … nö … nicht dass ich wüsste!“
Ich mach mich auf dem Weg zu John Hannah, rufe Jungem Mann Nr. 2 zu: „Gut, dann mach ich erst den anderen, und dann komm ich zu Ihnen!“ und ernte damit ein fröhlich-freundliches Lachen.
Auf dem Rückweg komm ich wieder an ihm vorbei (später stellte sich auf lästige Weise heraus, dass der an unserer Türklingel zugange war), er reißt mir die Tür auf und herrscht seinen Hiwi an, er solle mir aus dem Weg gehen. Ich bedanke mich artig und gehe hinein. Da sagt er mir, immer noch mit so einem beseligten Schmelz in der Stimme, wie nett das von mir war von wegen „junger Mann„.
Darauf kann man ja nicht viel sagen, außer „Wieso? Sie sind doch keinen Tag älter als 35!“ Was auch genau das ist, was ich gesagt habe. Da hat er geschnurrt wie ein zufriedener Kater, was viel von diesem blöden Tag wettgemacht hat. Und ehrlich, ich könnte nicht sagen, wie alt der ist – könnte sportliche Endvierzig sein, oder ein hart geritttener Enddreißiger. Haupthaar trägt er sehr kurz rasiert, was mir ja immer gut gefällt.
Apropos garnix, wir haben auf der Arbeit jetzt ein Zeiterfassungssystem. Funktioniert mit Fingerscan. Ich habe die Nummer 0001. Beim Ein- und Auschecken summe ich jedesmal ganz leise die Mission-Impossible-Melodie vor mich hin und hoffe, dass mich niemand dabei erwischt.