Archiv der Kategorie: Voll der Aufreger!

And another thing .. (KTzG, Teil 2)

Ja, ja, Guttenberg, bla, ich kann’s selber auch schon nicht mehr hören. Aber etwas dazu sagen, das kann ich immer. Wär ja noch schöner.

Kurz und schmerzlos 1: Ja, es gibt Wichtigeres. Das bedeutet aber nicht, dass es egal ist, wenn der Bundesminister für Verteidigung geistiges Eigentum stiehlt.

Kurz und schmerzlos 2: Ja, kann sein dass jeder von uns in der Schule mal abgeschrieben hat. Das ist aber nicht das Gleiche wie beim Verfassen der Doktorarbeit zu lügen und zu betrügen.

Wer so etwas behauptet, der glaubt bestimmt auch, dass Schwarzfahren das Gleiche ist wie ohne gültigen Fahrausweis in den Bus zu steigen, dem Busfahrer eine Flasche über den Kopf zu ziehen, ihn aus dem fahrenden Bus zu werfen und dann mit dem Bus durch die Fußgängerzone zu brettern. Am Adventssamstag.

Mehr dazu, besser formuliert und mit mehr wissenschaftlichem Fundament, findet ihr beim Bloggewitter „Ehrlichkeit in der Wissenschaft“ bei den scilogs (die sowieso in euren Feedreader und/oder die Lesezeichen gehören).

Der Guttenberg

Ich bin ein phlegmatischer Mensch. Ich rege mich vergleichsweise selten auf, und sogar dann nur sehr ineffektiv. Vieles geht an mir einfach vorbei und ist mir egal. Ich glaube, ich habe einfach nicht die mentale Ausrüstung für Leidenschaft.

Wenn mich doch einmal etwas aufregt, dann lest ihr das in der Regel hier in meinem Blog. Und was mich gerade aufregt: Die Sache mit dem Guttenberg.

Screenshot der Facebookseite "Gegen die Jagd auf Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg", 19. Februar 2011

Dazu müsst ihr von Anfang an wissen, dass ich das ganze Konstrukt „Adel“ dermaßen abstoßend finde, dass ihr keinerlei objektive Behandlung der Sache und der Person erwarten dürft. Schon allein die Vorstellung, jemand wird als „etwas Besseres“ geboren, ist mir in Mark und Knochen zuwider.

Genauso wenig mag ich Politiker. Es ist unanständig, wie viele Politiker ihre Posten ausnützen und sich eine goldene Nase damit verdienen, mit ihren öffentlichen Auftritten, ihren Vorstandsposten, ihren lukrativen Verträgen mit Unternehmen, die sie auch nach ihrer aktiven Zeit noch beschäftigen.

Die Kombination Adel & Politik ist also von Haus aus sehr dazu geeignet, meinen Unmut zu erregen. Die Plagiatsvorwürfe haben mich dementsprechend nicht wirklich überrascht. Ich gehe nämlich davon aus, dass Politiker von Haus aus glauben, dass sie mit allem Möglichen durchkommen. Das ist keine Folge des Politikerdaseins, sondern die Vorbedingung.

Ich bin seit langer Zeit der Meinung, dass es um dieses unsere Land so schlimm bestellt ist, weil die Politiker keine Ahnung vom „wirklichen Leben“ haben. Wie sollen sie auch? Ihre Eltern sind Lehrer, Ärzte, Rechtsanwälte, Richter, Industrielle, sie selbst studieren natürlich auch Jura oder Wirtschaft, und vor allem wachsen sie in dem Bewusstsein auf, dass sie etwas zu sagen haben und das gemeine Volk nur atemlos darauf wartet, ihre wertvolle Meinung zu hören. Für Adlige ist es noch schlimmer, denn sie ächzen ja praktisch unter der Last ihres hochwertigen Erbguts und der Befähigung zum Führen der Menschen, die ihnen anstelle von Blut in den Adern fließt.

Wann hatten wir denn das letzte Mal eine Metzgerstochter, einen gelernten Elektriker oder einen Lastwagenfahrer als Politiker/-in auf Bundesebene? Oder gar als Minister/-in? Oder Kanzler/-in? Egal, darüber kann ich mich ein anderes Mal aufregen.

Zurück zur Affäre Guttenberg. Was haben wir also hier? Einen privilegierten Mann, der sein Studium vermutlich unbelastet von materiellen Sorgen absolvieren durfte. Kein Kellnern am Abend und am Wochenende, keine Schichten in der Fabrik in den Semesterferien, keine Nachhilfestunden für Gymnasiasten, kein Babysitten, gar nichts.

Laut der Berichterstattung ist es ihm trotzdem schwergefallen, die Doktorarbeit zu vollenden, weil er eine junge Familie und eine junge Karriere als Politiker an der Backe hatte. Das kann man durchaus nachvollziehen. Was aber weder nachzuvollziehen noch entschuldigbar ist: Wenn er die Arbeit anderer Menschen stiehlt und als seine eigene ausgibt. Aktuell scheint genau das kaum mehr zu bestreiten sein, nicht nur die Süddeutsche berichtet darüber, dass in der Doktorarbeit ganze Seiten ohne Quellenangabe von anderen Autoren übernommen wurden.

Wenn die Dreifach-Belastung durch Familie, Job und Doktorarbeit (mit der auch viele andere fertig werden müssen, die noch dazu in vielen Fällen finanziell weniger gut dastehen) so schwer war, warum dann nicht einfach auf die Doktorarbeit verzichten?

Falls die Doktorarbeit doch so karriereentscheidend war, dass er nicht auf sie verzichten konnte: War es dann schlau, die Karriere auf Lügen und Diebstahl aufzubauen? Ist es schlau, sein Leben als Person des öffentlichen Interesses auf einem Plagiat aufzubauen?

Was ich jetzt sage, ist für Nichtstudierende vielleicht neu: Um zu studieren und eine Doktorarbeit, oder auch schon vorher eine Magisterarbeit, eine Diplomarbeit, eine Bachelor- oder Masterarbeit zu verfassen muss man nicht übermäßig intelligent sein, ich hab’s schließlich auch geschafft. Man muss willens sein, sich ein bisschen anzustrengen, und man muss sich an die Regeln für die Arbeit halten.

Natürlich verlangen die Professoren ein bestimmtes Niveau, auf dem die Arbeit sich zu bewegen hat, wenn man sich aber vorher durch das Studium geackert hat, ist das kein Teufelswerk. Die Abschlussarbeit auf jeder Ebene muss vor allem selbst verfasst sein, denn sie soll ja schließlich bestätigen, dass man im Stande ist, selbständig wissenschaftlich zu arbeiten, eigenen Schlüssse zu ziehen, Quellen und Information zu sichten und einzuordnen.

Was aber ist, wenn jemand plagiiert? „Ist das wirklich so schlimm?“ werden manche fragen. Ja. Ist es. Weil ihr dann nicht nur gestohlen habt – nämlich das geistige Eigentum und die Arbeitsleistung eines anderen Menschen. Ihr zeigt damit auch, dass ihr findet, die Regeln gelten nicht für euch.

„Es war vielleicht nur ein Versehen, das ist doch nicht so schlimm!“ sagen jetzt manche vielleicht. Nein. Das ist schlimm. Denn das beweist, dass ihr einfach nicht gut genug seid, ihr beweist praktisch selbst, dass ihr kein Recht habt, diesen akademischen Titel oder Grad zu tragen.

Absicht oder Versagen, so oder so habt ihr das mit dem Titel verkackt. Zu Recht.

Würdet ihr das denn in anderen Fällen hinnehmen? Würdet ihr sagen, ach, mein Arzt hat zwar bei der Abschlussprüfung beschissen, aber egal, der ist immer so großzügig mit Krankschreibungen? Der Busfahrer meiner Kinder hat gar keinen Führerschein, aber macht ja nix, der hat so volles Haar? Der Metzger hält sich nicht an die Hygienevorschriften, aber seine Frau ist so kinderlieb? Der Briefträger bringt nur ab und zu mal die Post, und manche Briefe macht er auf, aber macht ja nix?

Wäre es eine eine Hetzkampagne, wenn man sich über einen anderen Berufstätigen beschwert, „nur“ weil er betrogen hat? Zumal wenn dieser Berufstätige den „Anstand“ und die „Ehrlichkeit“, die ihm ja  zudem kraft seiner edlen Abstammung im Blut liegen soll, wie eine Flagge vor sich herträgt?

Warum sollte es also bei Karl-Theodor zu Guttenberg eine Schmutzkampagne sein, wenn jetzt Aufklärung dieser Vorwürfe verlangt wird? Wir, seine Arbeitgeber, verlangen zu wissen, ob er ein Betrüger und Lügner ist, der sich zu Unrecht „Verantwortung verpflichtet“ in den Seitentitel seiner Homepage geschrieben hat. Das scheint mir nicht vermessen zu sein.

Und trotzdem gibt es aufgeregte Fans, die nicht glauben wollen, dass jemand mit einer so ordentlichen Frisur ein Plagiarist sein soll. Deswegen haben sie eine Facebook-Seite angelegt: „Gegen die Jagd auf Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg“. Zum Glück entlarven sie sich selbst mit lachhaften Argumenten wie „Der hat ja nie mit dem Titel rumgeprotzt, der hat das gar nicht nötig zu betrügen!“ (siehe Screenshot oben). Klar. Ich würd auch nicht mit einem Doktortitel angeben, wenn ich bei der Doktorarbeit plagiiert hätte.

Ich frage mich, wer diese Leute überhaupt sind. Ich vermute, es sind die gleichen, die Fußballer der Gegenmannschaft nach einem Regelverstoß am liebsten direkt an den nächsten Baum tackern möchten; und es sind vermutlich die gleichen Leute, die Ulla Schmidt am liebsten gelyncht hätten, als sie sich dumm, aber meiner Erinnerung nach vollkommen legal mit ihrem Dienstwagen in den Urlaub hat chauffieren lassen.

Wer Spaß an Ironie hat, findet ein bisschen Trost darin, dass die Fans dieser Seite so messerscharf geschliffen argumentieren wie „Der ist ein smarter Typ, deswegen kann das nicht gewesen sein“ oder „Außerdem sind die anderen Politiker nur neidisch, dass Herr Gutenberg der beliebteste Politker ist.“

Für seine Eignung als Verteidigungsminister macht es absolut keinen Unterschied, ob er einen Doktortitel hat oder nicht, summa cum laude oder sonstwie. Schließlich war das nicht die Prüfung für den Verteidigungsministerschein.

Aber eine Aufklärung der Plagiatvorwürfe zu fordern, das hat nichts mit einer Hetzkampagne gegen zu Guttenberg zu tun. Es geht um akademische Ehrlichkeit, und, wenn euch das schon nichts bedeutet, es geht auch darum, ob wir es hinnehmen müssen oder wollen, dass unser Verteidigungsminister unfähig oder unwillens ist, sich an die Spielregeln zu halten.

Diese Spielregeln sind nicht einfach willkürlich aufgestellt worden, sie sorgen dafür, dass jeder prinzipiell die gleiche Chance hat. Sie gelten für alle Studierenden, sie gelten für die Töchter von Postbeamten, für Töchter, deren Eltern ihnen ihr Studium nicht finanzieren, weil sie dagegen sind, für die Söhne von Theologen und Metzgern und Maurern, für die Kindern von Professoren und Hartz-IV-Beziehern. Die Ausgangssituation im Spiel sind unterschiedlich, die Regeln sind aber für alle gleich und in diesem Sinne also demokratisch.

Wenn ihr jemandem die Gewalt über die Bundeswehr geben wollt, der sich nicht an die banalsten Spielregeln halten kann oder will und nichts von Demokratie und Ehrlichkeit hält, nur zu.

Ich halte es für unerträglich.

Neues vom Amt.

Mir ist eingefallen, dass ich euch ja noch die Fortsetzung  von neulich schuldig bin, zur Leistungsantragsabgabe.

Ihr erinnert euch vielleicht, dass ich bei meinem Termin neulich dachte, ich könne meinen Leistungsantrag abgeben; stattdessen ging es nur um ein Bewerbungsschreiben.

Am folgenden Montag hatte ich also einen Termin bei der Leistungsabteilung. Ich tappe also brav zum Amt und will meine Unterlagen abgeben, bei einer durchaus netten Frau, die nach bester Arbeitsagenturtradition namenlos bleibt.

Die Tür des Büros bleibt während des Termin natürlich offen. Wo kommen wir denn dahin, wenn jeder dahergelaufene Arbeitslose eine Privatsphäre will!

Es stellt sich heraus: Antrag kann nicht bearbeitet werden, weil:

  • auf der vom Arbeitgeber ausgefüllten Arbeitsbescheinigung kein Firmenstempel ist
  • die Kündigung nicht vorliegt
  • ich die Lohnsteuerkarte nicht dabei hatte (ja, blöd von mir)
  • meine Kundendaten aus Koblenz nicht vorliegen.

Richtig lustig ist das allerdings erst durch die Details: Firmenstempel ist kein Problem, weil Büro ja direkt ums Eck ist. Ich frage auch, ob ich dann noch mal einen Termin brauche, um die gestempelte Bescheinigung vorzulegen. Antwort: Nein, nicht nötig, einfach abgeben oder in den Briefkasten werfen.

Aha. Ich habe nicht gefragt, warum ich dass dann nicht alles am Freitag abgeben konnte, sondern mir extra einen Termin für Montag geben lassen musste. Gewundert habe ich mich aber schon.

„Ich brauch also nur den Stempel und dann gebe ich das wieder ab, ja?“

Naja, so einfach ist das nicht! Es fehlt nämlich außerdem meine Lohnsteuerkarte (gut, daran hätte ich denken können) und die Kündigung („Aber die habe ich doch beim ersten Termin vorgelegt!“ – „Hmm … wir haben da aber keine Kopie in den Unterlagen. Die brauchen wir!“

Ok, das alles beschaffen und vorbeibringen, und dann kann ich erfahren, was ich bekomme, ja?

Nein. Meine Kundendaten aus Koblenz liegen nicht vor, ohne die geht sowieso gar nichts. Die kann man zwar anfordern, aber dann dauert es ein paar Tage, bis die auch in  Lampertheim ankommen.

Ich bin dann also zu meiner Ex-Arbeitsstelle gegangen, habe die Arbeitsbescheinigung stempeln lassen, mit einem Stempel, auf dem noch die alte Adresse steht, es wurden seit dem Umzug im August 2010 keine neuen Stempel gemacht.

Zuhause habe ich dann die Kündigung und die Lohnsteuerkarte kopiert. Vorher habe ich aber noch bei der Arbeitsagentur angerufen (6 Minuten, drei Gesprächspartner, Servicenummer) und nachgefragt, ob eine Kopie der Lohnsteuerkarte reicht und die nicht vielleicht eher den Ausdruck zur elektronischen Lohnsteuerdaten brauchen. Nein, Lohnsteuerkarte – „es geht nur um die Daten vorne drauf, vor allem die Steuerklasse“.

Ich hab denen den ganzen Mist dann per Post geschickt. Zum Briefkasten laufe ich nämlich nur 10 Minuten, keine 25 wie zum Amt selbst.

Ja, ich bin faul.

Und jetzt fragen wir uns bestimmt alle dasselbe, oder?

Stempel – Was ist, wenn eine Firma keinen Stempel hat? Schließt das alle Entlassenen automatisch vom ALG aus?

Kündigung – Wie viele Leute kommen zu denen und behaupten fälschlicherweise, ihnen wäre gekündigt worden? Außerdem finde ich, es ist nicht meine Schuld, wenn sie das nicht gleich am Anfang kopieren – es war ja abzusehen, dass die Kündigung später nochmal gebraucht wird.

Lohnsteuerkarte – Die Daten der Lohnsteuerkarten werden im von mir auszufüllenden Formular ebenso abgefragt wie in der Arbeitsbescheinigung, die vom Arbeitgeber auszufüllen ist (und zu stempeln, ganz wichtig). Aber klar, ich könnte auch unberechtigterweise vorgeben, die begehrenswerte Steuerklasse I zu haben. Kommt bestimmt auch oft vor.

Kundendaten – Schon beim ersten Termin stand fest, dass ich vorher in Koblenz war. War also keine Überraschung, und man hätte die Daten vielleicht auch vorher anfordern können.

Seufz.

Übrigens hat mich Dierk nach meinem letzten Schwank vom Amt darauf hingewiesen, dass das natürlich nicht eure Steuergelder sind, die da durch Desinteresse und, ich sag mal, Inkompetenz verplempert werden.

Das sind die Beiträge zur Sozialversicherung, die da so hingebungsvoll und doch sinnlos verbrannt werden.

Ich bin stinksauer.

Stinksauer, sag ich euch. Gut, das ist nichts Neues, das kommt schon mal vor. Aber gerade bin ich so sauer, dass ich kotzen könnte.

Ich hatte heute einen Termin bei der Arbeitsagentur. Um 7:30 Uhr. Kein Problem für eine alte Frühaufsteherin wie mich, und wenigstens hat man es früh hinter sich und der Tag kann ununterbrochen weitergehen. Manchmal hat man ja was vor als Arbeitsloser. In Talkshows auftreten oder so.

In der Einladung stand: „Bringen Sie bitte noch zusätzlich folgende Unterlagen zu diesem Termin mit: Bewerbungsschreiben.“

Gut, denke ich mir, bring ich halt noch eins mit, ist ja kein Thema, aber mich wundert diese Fixiertheit auf Bewerbungsschreiben schon ein bisschen, ich habe denen ja schon zwei gemailt.

Ich komme also um 7:17 Uhr dort an. Stehe vor verschlossenen Türen. An denen immerhin ein Zettel hängt, der mich darauf hinweist, dass Kunden (ha) mit Termin doch bitte klingeln möchten. Ich folge dem aufgedruckten Pfeil nach rechts und identifiziere triumphierend die Klingel. Zwei Klingeln übereinander, ich weiß nicht, welche davon die richtige ist. Egal, ich entscheide mich für die obere.

Keine Reaktion. Innen laufen Menschen an der Glastür vorbei.

Untere Klingel.

Keine Reaktion. Innen laufen Menschen an der Glastür vorbei.

Hm.

Beide Klingeln gleichzeitig.

Keine Reaktion. Innen laufen Menschen an der Glastür vorbei.

Inzwischen bin ich nicht mehr alleine vor der Tür, es sind noch drei andere Kunden dazugekommen.

Ich starte einen letzten Versuch.

An einem Fenster neben dem Eingang bewegen sich die Vorhänge, eine körperlose Hand ist zu sehen. Tatsächlich kommt nun ein Mitarbeiter, öffnet die Tür und sagt mir, dass die Arbeitsagentur erst um 7.30 öffnet, und auch da erst die Tür aufgemacht wird.

Ich sage, zu diesem Zeitpunkt immer noch höflich, dass ich ja einen Termin hätte und man solle ja klingeln …

„Wir öffnen erst um 7:30 Uhr.“

Sagt’s und schließt die Tür wieder.

Es ist 7:26 Uhr.

Pünktlich um 7:30 Uhr ist Einlass.

Ihr Termin findet auf Serviceplatz 1 (Eingangsbereich) statt.

Vielleicht hat man das heute so:  Zumindest hier in Lampertheim gibt es direkt im Eingangsbereich der Arbeitsagentur Serviceplätze. Die sind mit ein paar Stellwänden abgetrennt, man kann also wirklich mit ein bisschen Konzentration hören, was an den anderen Plätzen gerade als Service ausgegeben wird. Sehen kann man das auch, durch die Durchgänge zwischen den Stellwänden. Die Kunden kann man dabei vom Eingangsbereich etwas besser sehen als die Servicekräfte.

Es stellt sich aber heraus, dass Serviceplatz 1 die Rezeption ist, besetzt von einem etwa 12 Jahre alten Mädchen, im folgenden Bericht von mir wertfrei als Empfangstrulla bezeichnet.

Ich gehe also hin, frage nach Serviceplatz 1 und erfahre: Ich bin schon richtig. Die Empfangstrulla fragt mich nach dem dem Bewerbungsanschreiben. Ich überreiche es und frage, ob ich zu jedem Termin eines mitbringen muss. „Nein, das war jetzt nur, weil wir von Ihnen noch keines haben.“

Auf meine Entgegnung, ich hätte aber doch bereits zwei per E-Mail geschickt, erfahre ich: Es ist angeblich nichts angekommen.

Die Empfangstrulla, in misstrauischem Ton: „Wo haben Sie das denn hingeschickt?“

Ich: „An die Adresse, die ich von Frau R. (meine zuständige Beraterin) bekommen habe, irgendwas mit Lampertheim123 …“

„Hier ist nichts angekommen. Haben Sie denn eine Bestätigung bekommen, dass das Schreiben bearbeitet wurde?“

„?“

„Daran merken Sie, dass es nicht angekommen ist.“

Aha. Hätte ich  mir gleich denken können, dass die E-Mail nicht angekommen ist, wenn ich diese Bearbeitungsbestätigung nicht bekomme! Ich Dummerle!

Leicht verwirrt frage ich, wem ich denn nun meinen Leistungsantrag geben dürfe.

Kurze Exkursion: Den Leistungsantrag habe ich schon seit Wochen und endlich war ist auch die Arbeitsbescheinigung vom Arbeitgeber dazugekommen . Ich rufe also bei der 01801-Nummer der Agentur für Arbeit an und frage, was ich jetzt damit machen solle. Erfahre, dass ich dafür von der für mich zuständigen Niederlassung einen Termin bekomme, an dem das direkt vorab bearbeitet wird, damit alle Informationen drin sind und ich auch gleich Auskunft bekomme. Gut.

Wenige Tage später bekomme ich auch meine Einladung, eben die für heute. Die ich, rückblickend durchaus dumm, dahingehend auslege, dass das der große Auftritt für meinen Leistungsantrag wird, und ich aus unerfindlichen Gründen halt auch noch ein Bewerbungsschreiben abgeben muss.

Zurück zu heute: Ich frage die Empfangstrulla also, was ich mit meinem Leistungsantrag anstellen solle. Sie gibt mir einen Termin für Montag. Ich bin nur mittelmäßig begeistert, und weil ich es einfach nicht glauben mag, frage ich noch ein letztes Mal nach:

„Das heute war also einfach nur, um das Anschreiben abzugeben?“

„Ja, weil Sie uns das noch nicht geschickt hatten.“

Als ich gehe, halte ich die Bezeichnung Serviceplatz für irreführender als je zuvor.

Ich muss zugeben: Wenn ich nicht von der frühen Uhrzeit und dem Serviceplatz 1 so abgelenkt gewesen wäre, hätte ich natürlich auch sehen können, dass auf der Einladung als Betreff tatsächlich Vorlage Bewerbungsanschreiben steht (genau genommen ist es die „1. Einladung“, was dem Ganzen einen unerwarteten und aufregend bedrohlichen Beigeschmack gibt).

Dumm gelaufen für mich.

Ich will ja nicht mal unterstellen, dass den Arbeitsagenturlern einer abgeht, wenn sie einen so vollkommen sinnlos rumscheuchen (doch, will ich eigentlich schon) .

Aber ich bin mir relativ sicher, dass ihnen nicht klar ist, wie unglaublich ineffizient sie sind. Ist es denn wirklich sinnvoller, mir eine Einladung zu schicken und mich wegen eines einzigen Blattes Papier antanzen lassen, als mich telefonisch, per E-Mail oder ja, meinetwegen auch per Post zu informieren, dass sie immer noch kein Anschreiben von mir haben, und ich solle ihnen das bitte zukommen lassen? Per Post, E-Mail, oder persönlich vorbeigebracht?

Abgesehen von meiner natürlich Faulheit und Abneigung gegen die Arbeitsagentur, die noch in kein Leben Freude, Stolz, oder Motivation gebracht hat (und bezahlte Arbeit wahrscheinlich auch nur durch Zufall vermittelt), ärgert mich aber auch:

Nicht alle von der Agentur Verwalteten wohnen in der Nähe der zuständigen Filiale. Ich habe heute nur eine Stunde meines Lebens und ein bisschen Hoffnung verloren.

Andere Menschen müssen eine mehr oder weniger lange Anfahrt in Kauf nehmen, müssen sich vielleicht einen Babysitter suchen, müssen sich damit abfinden, dass die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel aus einem 20-Minuten-Termin einen Vier-Stunden-Unternehmen macht, sie müssen sich eventuell ein Auto organisieren oder jemanden bitten, sie zu fahren. Und meine Fresse, Leute, ihr müsst mir das jetzt einfach unbesehen glauben: In dieser Lage auch noch ständig Familie oder Freunde um Hilfe bitten zu müssen … das macht keinen Spaß.

Gut, dass man willkürlich einen Termin aufgedrückt bekommt, den man wahrzunehmen hat, ok. Als Arbeitsloser wanzt man eh nur daheim auf dem Sofa rum und kratzt sich am Arsch, da ist es ja egal, oder?

Was aber auch bedacht werden sollte: Wer zu einem Termin der Arbeitsagentur geht, dem können die Fahrtkosten erstattet werden. Ob das wirklich gemacht wird, ist eine andere Sache, die finden ja gerne Möglichkeiten, einen auf den Kosten für ihren eigenen Scheiß sitzen zu lassen. Aber wenn die Kosten erstattet werden, ratet mal, woher das Geld kommt?

Genau.

Das sind eure Steuergelder.

Ihr zahlt also nicht nur die Angestellten der Agentur, die morgens an der Eingangstür vorbeigehen, Kaffeetasse in der Hand, Blick von der Tür abgewendet, um nur ja keinen Augenkontakt mit der dumpfen Masse der Arbeitslosen und Arbeitssuchenden zu machen. Ihr zahlt auch die Fahrtkosten für jemanden, der einfach nur ein einziges Blatt Papier abgeben muss. Ich wage zu behaupten, dass die Fahrtkosten nur selten niedrigen sind als die 55 Cent für das Briefporto.

Your tax money at work.

Neid und Missgunst

Mein Vater war jahrelang Kirchenpfleger unserer Kirchengemeinde. Das klingt zwar, als hätte er jede Woche das Weihrauchfässchen abgespült, bedeutet aber im Prinzip, dass er der Kassenwart der Kirchengemeinde war.

Er hat auch immer das Geld aus der Kollekte gezählt, und natürlich auch bei besonderen Sammelaktionen, darunter auch die Beute, die die Sternsinger mit nach Hause brachten. Ich habe ihm dabei manchmal geholfen – das war in den späten Neunzigern/frühen Zweitausendern. Ich erinnere mich an ein Jahr, das muss 2001 oder 2002 gewesen sein, da hatten wir die Sternsingerspenden von drei Tagen auf dem Küchentisch. Mein Vater wollte es nicht über das Wochenende zu Hause haben, und vor dem Gang zur Sparkasse zählten wir es.

Über 50.000 Euro.

Der Ertrag von nur drei Tagen.

Ich war total fasziniert davon, wie viel Geld die Leute spendeten. Es hieß ja auch damals schon, „die Leute“ würden immer spendenunlustiger. Schwachsinn. Ich habe das aus Interesse ein bisschen mitverfolgt, so lange mein Vater das gemacht hat, und es wurde JEDES Jahr mehr gespendet als im Jahr vorher.  Sternsinger, Misereor, alles – jedes Jahr war es mehr.

Und das liegt weiß Gott nicht daran, dass die Gemeinde besonders groß oder besonders wohlhabend war. Das ist eine ganz normale katholische Gemeinde in einer ganz normalen evangelischen Gegend, mit damals vielleicht 1.500 Mitgliedern – die bestimmt nicht alle in die Kirche gingen.

Ich habe keine Erkenntnisse darüber, ob das meiste Geld in kleinen Portionen von Einzelportionen gespendet wurde, aber ich weiß eines: Viele Familien und viele Einzelpersonen gaben horrende Summen, an Weihnachten, den Sternsingern, für Misereor. Das war leicht zu erkennen, weil das Geld in einem Umschlag war mit dem Namen drauf – das brauchte mein Vater ja, um ihnen eine Spendenquittung auszustellen. In dem Umschlag war dann beispielsweise ein 500-Euro-Schein, so etwas hatte ich damals noch gar nicht gesehen.

Was ich mit dieser Geschichte sagen will: Spendenunlust, my arse.

Wie ich gerade heute darauf komme, fragt ihr? Ganz einfach. Ich habe schon öfter mal war über manomama gebloggt, etwa hier. Heute hat Sina auf eine Frau in einer Notlage aufmerksam gemacht und, weil sie ebenso schnellentschlossen wie großherzig ist, direkt eine Spendenaktion gestattet.

Auf Twitter habe ich dann in der Timeline eines Freundes verfolgt, wie eine andere Twitteruserin meinte, man solle doch bitte lieber für was Besseres spenden, und nicht für eine arbeitsfähige Frau und ihre vier erwachsenen Kinder.

Eine Frau und ihre vier Kinder, die übrigens, falls ihr dem Link oben nicht gefolgt seid, ihr Haus unter Umständen verlieren werden. Ihr Zuhause.

Das war seit langer Zeit das erste Mal, dass ich mich nicht im Fernsehen, sondern auf Twitter fremdgeschämt habe. Natürlich müsst ihr nicht für die Frau spenden, wenn ihr nicht wollt. Aber dann kommt doch bitte nicht mit so einer ARSCHPEINLICHEN Kackargumentation wie der  hier:

[…] Sie will keinem zur Last fallen. Da ist das appellieren ans Mitleid natürlich was ganz anderes. Eben ehemalige Event-Kauffrau… […]Liebe Gutmenschen, wenn ihr helfen wollt, geht auf die Straße und seht mal genau hin; oder engagiert euch in sozialen Einrichtungen. Da findet ihr Menschen, denen es an Grundsätzlichem fehlt. Dazu gehört allerdings _nicht_ eine Hausrettung für 4 volljährige „Kinder“ und deren nicht kranke oder behinderte Mutter – also arbeitsfähig. […]

Mal ehrlich: Ist es wirklich sinnvoll, wenn alle Kinder (alle im bzw. vorm Studium oder in der Lehre) ausziehen und sich selbst was suchen?

Die Mutter kann sich klar eine neue Arbeit suchen – 57-Jährige werden ja bekanntermaßen immer gesucht auf dem Arbeitsmarkt. Scheiße, ich war mit 27 arbeitslos, und hab da schon kaum was gefunden!

Vor Jahren habe ich mal in einem Interview – mit einem Star, den ich natürlich prompt vergessen habe, und seinem besten Freund – einen Ausdruck kennengelernt, der mir sehr gut gefällt: Weißer Neid. Der soll angeblich aus dem Russischen kommen, und es bedeutet, dass man jemanden hass- und ränkelos um etwas beneidet.

Das kann ich gut verstehen. Ich beneide viele Leute um vieles: Bessere Frisur. Mehr Bücherregale. Schicke Duschkabine. Leidensfähigkeit im Hinblick auf hohe Schuhe. Talent für Salatdressings. Selbstbewusstsein. Geld … darum beneide ich fast jeden. Beneiden bedeutet, dass man etwas selbst auch gern haben möchte, was ein anderer hat.

Was ich nicht habe: Missgunst. Das bedeutet, dass man anderen nichts gönnt. Zum Beispiel wenn man meint, eine Familie habe es nicht verdient, dass ihr in einer schlimmen Lage geholfen wird.

Wir haben alle das Recht auf unsere eigene Meinung. Ihr könnt meinen, dass ihr lieber für andere Sachen spendet, oder gar nicht. Ihr könnt aus Mitgefühl spenden, aus Menschlichkeit, weil ihr nicht wisst wohin mit eurem Geld, oder ihr macht es wie ich und spendet, weil euch denkt „Vielleicht bin ich einmal in der gleichen Situation, und dann will ich mich nicht meines Geizes schämen müssen“. Ihr habt das Recht auf eure Meinung, egal wie sie aussieht.

Und ich habe das Recht auf meine Meinung. Und ich meine, dass die Alte einen an der Waffel hat und sich mit ihren Äußerungen als missgünstige Wohlstandswichserin geoutet hat.