Eigentlich wollte ich heute datumsgerecht was zur Deutschen Einheit bloggen. Aber etwas anderes brennt mir doch mehr auf den Nägeln und der Seele. Darum also: Nicht die Deutsche Einheit.
Wer von euch mich gut, oder besser gesagt persönlich kennt, der ist schon mindestens einmal in den zweifelhaften Genuss gekommen, mein Gejammer zu aktuellen und unaktuellen Themen mitzuerleben, ob sie jetzt real oder imaginär sind, begründet oder aus allgemeiner Hysterie geboren. Meist wohl eher Letzteres.
Eines der Dinge, die mir oft Sorgen machen, ist meine übertriebene Liebe zu Dingen. Das bedeutet jetzt nicht, dass ich mich hauptsächlich über meinen Besitz definiere. Es bedeutet, dass ich mich nur schwer von Sachen trennen kann, und dass ich Dingen einen Wert beimesse, die in keinem Verhältnis zum realen oder auch nur einem „normalen“ ideellen Wert stehen.
Das war beim Umzug vor ein paar Monaten ziemlich unpraktisch, weil ich unbedingt alles mitnehmen musste. Dabei habe ich vorher nur knapp über ein Jahr in der Wohnung gewohnt, und ohne Geld sammelt sich nur moderat Besitz an. Aber es war schlimm genug. Graffelhausen, sozusagen. Ich möchte aber betonen, dass ich noch lange nicht als Messie durchgehen würde!
Über Bücher brauchen wir gar nicht zu sprechen, die kann man eh nicht wegwerfen, höchstens in gute Hände abgeben. Aber gut und gern die Hälfte meiner Einrichtung habe ich von Freunden bekommen, und deswegen hänge ich daran.
Ich habe ein ziemlich zerbrechliches Selbstwertgefühl, und immer wenn es mir schlecht geht, sehe ich mir meine Sachen an, und ich weiß, dass ich die von Freunden (und auch Familienmitgliedern, klar) bekommen habe, denen ich ganz offensichtlich etwas wert bin und die sich die Mühe machen, mir zu Geburtstagen und Weihnachten Dinge zu schenken, die mich glücklich machen.
Weit schauen muss ich da nicht. Wohnzimmer: Fernseher, DVD-Spieler (und zahlreiche DVDs), Duftkerzen, Blumentöpfe, Bücher sowieso, Teekannen (die in einem Fall bekanntermaßen für mich hinter meinem Rücken gekauft und nach Deutschland eingeschmuggelt wurde!), Tee, Tassen … alles von lieben Menschen und daher von Wert.
Das heißt, dass ich jedesmal, wenn ich DVDs anschaue, an Sabine denke, oder an ihre Mutter, wenn ich den weißen Durchschlag verwende, den die mir zum Einzug in Koblenz geschenkt hat.
Neulich hat mich Anja besucht und mir – außer einem Lattenrost und einer Matratzenauflage, womit wir mein Bett um mindestens drei Preisklassen verbessert haben – ein ziemlich cooles Shirt mit Glitzeraufdruck vermacht. Ich denke jetzt auf der Arbeit oft an sie, weil ich natürlich alles eingeglitzert habe, inklusive der Tastatur (Nebenbei bemerkt: Alles mit Hilfe eines Shirts einzuglitzern ist eine sehr frauliche Methode, sein Revier zu markieren. Wird auch oft besser akzeptiert als überall hinzupinkeln.).
Wenn ich im Bad vorm Spiegel stehe, weiß ich: Sabine hat ihn für mich angebracht. Lampe im Wohnzimmer: angebracht von Sabine und Michi. Die mir überhaupt beim Einzug sehr geholfen haben, ich war ja praktisch zu nichts zu gebrauchen.
Was ich mit dieser ganzen Rede sagen will: Es fällt mir sehr schwer, Sachen wegzuwerfen, weil die meisten mir einfach am Herzen liegen. Und so kommt es, dass ich über vier Monate nach meinem Umzug immer noch vier Kartons nicht ausgeräumt habe.
In einem davon habe ich neulich etwas gesucht, und bin dabei auf alte Notizbücher gestoßen. Als ich ein bisschen in einem herumgeblättert habe, ist mir wieder eingefallen, dass ich noch ein Notizbuch aus Studientagen habe. Damals hat bei einem unserer Anglistenstammtische Fred Schwink etwas auf Aramäisch in das Buch geschrieben, einfach so, aus dem Stegreif. Das beeindruckt mich auch jetzt, 15 Jahre später, noch enorm. Aramäisch. „Ich muss mal schauen, wo das ist, das habe ich bestimmt noch!“, dachte ich mir.
Das war an einem Donnerstag.
Am Samstag darauf bekomme ich eine E-Mail von Johanna (ihr erinnert euch an die Schwa-Geschichte), in der es unter anderem um den Ausdruck „the bee’s knees“ ging. Ich habe in der Antwort geschrieben, „Ja, ich kenne den Ausdruck, den hat uns mal ein Lehrer an der Uni vorgestellt, zusammen mit ‚the cat’s pajamas‘.“
Der Lehrer war Fred Schwink.
Ich dachte mir noch: „Wie lustig, jetzt habe ich diese Woche zweimal an den gedacht, das ist aber untypisch.“ Weil ich muss euch sagen, ich bereue mein Studium zwar nicht, aber ich war keine gute Studentin und ich habe auch nicht mehrmals die Woche warme und flauschige Gedanken über meine Professoren. Aber, dachte ich, vielleicht ist das öfter so, und ich merke das nur nicht.
Gerade Fred Schwink hat mein Leben vielleicht mehr berührt als andere Lehrer an der Uni. In den meisten Seminaren versuchte ich die ganze Zeit zu vertuschen, dass ich nichts weiß und nichts verstehe. Fred Schwink war einer der Lehrer, bei dem ich mich auch mal was fragen traute. Das klingt wie eine Nebensache, aber für mich war das eben eine ziemlich große Sache. Vermutlich wäre mein Studium besser gelaufen, wenn ich damals direkt begriffen hätte, dass ich zum Lernen an der Uni bin – und nicht dazu, schon alles zu wissen und das möglichst gut darzustellen.
Weiteres Highlight: Theatergruppe. Die Erinnerung an das Stück verblasst ein bisschen hinter dem „Arsch-meets-Säge-Vorfall“, aber es gehört trotzdem mit zu den besten Erinnerungen an die Studienzeit.
Es ist also ganz normal, dass ich gelegentlich an Fred Schwink denke. Dachte ich mir und war beruhigt. Hätte ja auch eine krankhafte Obsession sein können, sieht man ja oft im Fernsehen.
Das war am Samstag.
Am Montagmorgen werfe ich, völlig untypisch für mich und noch nie gemacht, beim Frühstück den Computer an und gehe auf Facebook. Dort lese ich in einer Nachricht eines Freundes, dass Fred Schwink sich umgebracht hat.
Der Nachruf in der News-Gazette ist sehr schön geschrieben, aber er kann natürlich noch nicht mal ansatzweise beschreiben, wie nett, klug, witzig und zugänglich Fred war. Jeder, der auch nur zehn Minuten mit ihm gesprochen hat, merkte sofort, wie sehr er Wissen und Lernen liebte, und wie gern er dieses Wissen auch teilte. Das sollte bei einem Lehrer keine Überraschung sein, ist aber nicht die Regel.
Er war ein mitreißender Lehrer, ein freundlicher und großherziger Mensch, und ich glaube, wir alle hatten einfach großes Glück, dass wir ein paar Semester lang von ihm unterrichtet wurden.