They fuck you up, your mum and dad. Gebrochene Herzen.
Ich wollte euch ja schon neulich mal was über meine Eltern erzählen, habe es aber nicht. Das hole ich heute also nach.
Zuerst aber Musik: Auch heute gibt es wieder ein Dolly-Parton-Video (oder schau ich dir nur privat so oft an?! Hatten wir hier schon Dolly Parton?), denn auf Platz 5 der Alextravanza-Charts wartet der Heartbreaker.
Auch wieder so ein Song, bei dem ich gern Tränen vergieße.
Also, zu meinen Eltern. Vielleicht kennt ihr das Gedicht von Philipp Larkin, This be the verse. Es geht so:
They fuck you up, your mum and dad.
They may not mean to, but they do.
They fill you with the faults they had
And add some extra, just for you.But they were fucked up in their turn
By fools in old-style hats and coats,
Who half the time were soppy-stern
And half at one another’s throats.Man hands on misery to man.
It deepens like a coastal shelf.
Get out as early as you can,
And don’t have any kids yourself.
Ich will euch etwas sagen über meine Eltern: Manchmal gehen sie mir tierisch auf die Nerven.
Zweifellos geht ihnen das manchmal genau so mit mir.
Eltern sind auch Menschen. Je eher man sich das klarmacht, desto ruhiger kann man in Zukunft leben. Solange wir Kinder waren, war es durchaus verständlich und normal dass unsere Eltern „nur“ unsere Eltern sind. Wir verkennen sie nicht mit Absicht, wir denken nur nicht darüber nach dass auch sie Kinder waren, Ängste und Wünsche und Hoffnungen haben.
Jetzt sind wir aber erwachsen, und wir müssen einsehen, dass auch unsere Eltern Menschen sind. Fast ein bisschen so wie wir! Wenn wir diesen Stand der Erleuchtung erreicht haben, dann sind wir erwachsen. Dann wissen wir, dass unsere Eltern uns nicht quälen oder ärgern wollten, sondern dass sie ihr Bestes getan haben, damit wir gesunde, geistig stabile, selbstständige Menschen sind. Ob wir das als gelungen empfinden oder nicht – dafür können sie nichts. Sie haben uns das Leben gegeben – was wir daraus machen, ist jetzt unsere Sache. They fuck you up, your mum and dad – aber wir können sie nicht unser ganzes Leben lang für unsere Probleme verantwortlich machen. Irgendwann müssen wir uns selbst erziehen.
Ich weiß, dass ich bei meiner Mutter genau die Charakterzüge hasse, die ich selbst habe. Ich weiß auch, dass sie das oft von ihrer Mutter hat – bei der sie das auch gehasst hat. Ich weiß aber auch, dass ich viele Sachen von meinen Eltern habe, die mich zu mir machen: die Liebe zur Kommunikation, zum Lesen und dadurch zum Schreiben, die Sturheit, von meinem Vater die Fältchen an den Augen …
Ich ernähre mich gesund, weil ich das zuhause so gelernt habe. Nicht weil es mir so gepredigt wurde, sondern vorgelebt.
Ich habe keine Essstörung, weil bei uns Essen nie eine „Sünde“ war.
Ich habe den gleichen Humor wie meine Mutter und meine Großmutter. Meine Oma ist im Winter gestorben, beim Begräbnis war der Friedhof verschneit. Als wir um das offene Grab standen, wollte mein Cousin an mir vorbeigehen, ich bin also nach rechts ausgewichen. Ich wusste aber nicht, dass rechts von mir ein Grab war, mit Marmorabdeckung. Ich bin natürlich auf der spiegelglatten Platte ausgerutscht und wäre fast hingefallen, ich konnte mich aber gerade noch am Grabstein selbst festhalten und bin nur ein bisschen so rumgeschlingert und hab mit ein Bein und einen Arm ein bisschen gezerrt.
Das Lachen zu unterdrücken hat mich fast umgebracht. Und ich wusste auch genau, wer über sowas am allerlautesten gelacht hätte, auch auf dem Friedhof, auch bei einer Beerdigung: meine Oma. In dem Moment hab ich sie sehr vermisst. Die Frau hat noch 70 Jahre später darüber gelacht, wie ihre Freundin in den 30er Jahren in Nürnberg eine Station weit der Straßenbahn hinterher rennen musste, weil sich ihr Mantel in der Tür der Straßenbahn verfangen hatte.
Ich bin ich, weil meine Eltern so sind wie sie sind.
Und ich finde das gut so.
Eine Sache weiß ich außerdem ganz genau: Meine Eltern lieben mich, und haben mich immer geliebt. Möglicherweise ist das das Einzige auf der ganzen Welt, an dem ich nie in meinem Leben gezweifelt habe.
Die Liebe der Eltern sollte eigentlich das Natürlichste und Selbstverständlichste sein, aber je älter ich werde, je mehr ich vom Leben, der Welt und den Menschen sehe, desto mehr wird mir klar, dass es eben nicht selbstverständlich ist.
Ich bin froh, dass ich dieses Glück habe – und dass ich das auch weiß.